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Allgemeine Projektförderung: Geförderte Projekte und Kommentar der künstlerischen Fachjury

22.2.2024 In der ersten Runde der Allgemeinen Projektförderung 2024 (Frist: 15. November) konnte das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste mit Mitteln des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft 52 Projekten eine Förderung aussprechen. 232. Anträge wurden eingereicht.

> Übersicht über alle geförderten Projekte (PDF)

Der künstlerischen Fachjury war es ein wichtiges Anliegen, sich mit einem Kommentar zu der aktuellen Vergabe zu äußern und diese kulturpolitisch einzuordnen. Der Jurykommentar folgt untenstehend:

Kommentar der künstlerischen Fachjury

Das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V. fördert in der Allgemeinen Projektförderung mit Mitteln des Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen herausragende Projekte der Freien Darstellenden und Performativen Künste in NRW. Die erste Förderrunde 2024 zeigt ein deutliches Missverhältnis zwischen den zur Verfügung stehenden Mitteln und den realen Bedarfen. Nicht einmal ein Viertel der gestellten Anträge konnten gefördert werden.

Es ist spürbar, dass allen Künstler*innen der Freien Szene schwere Zeiten bevorstehen. Wir als Fachjury haben dennoch versucht, das Geld nach künstlerischen Kriterien und nach bestem Wissen und Gewissen zu vergeben. Dieser Prozess war äußerst komplex und auch schmerzhaft, da nicht nur die Zahl der Anträge massiv gestiegen ist, sondern gleichzeitig Inflation und Mindesthonorare die Bedarfe pro Projekt steigen lassen. Viele qualitativ wertvolle Projekte konnten nicht gefördert werden.

Deshalb wollen wir uns als Fachjury kulturpolitisch zu Wort melden – für eine solidere Förderung der diversen und lebendigen Theaterszene in NRW.

In der ersten Förderrunde 2024 sind nochmals deutlich mehr Anträge (232) als im Vergleichszeitraum 2023 (199) gestellt worden. Aufgrund von überjährigen Anträgen aus dem Vorjahr stand dem nur eine etwas verminderte Fördersumme im Vergleich zum Vorjahr zur Verfügung – rund 750.000 Euro.

Nichtsdestotrotz konnten aktuell 52 Projekte und damit etwa genauso viele wie letztes Jahr im selben Förderzeitraum begünstigt werden. Doch das Förderverhältnis wird von Jahr zu Jahr schlechter. Standen in den Vorjahren einem bewilligten Projekt etwa 3 bis 4 abgelehnte Projekte gegenüber, bewegt sich diese Quote jetzt auf ein Verhältnis von einem bewilligten Projekt gegenüber 5 abgelehnten Projekten zu.

Es sind bei einer Förderquote von nur 22 % zu viele Projekte nicht in die Auswahl gekommen, die seit Jahren kontinuierlich die Freie Szene NRW bereichern und durch Festivaleinladungen und Auszeichnungen ihre Exzellenz in ihrem Schaffen bewiesen haben. Aber auch vielversprechender Nachwuchs, der mit den ersten Förderungen viel bewirkt hat. Hier kommt es zu existenziellen Einschnitten, die für die florierende Kulturszene NRW nicht tragbar sind

Die 232 Anträge mit ihren unterschiedlichen Projektideen und -formaten zeigen, wie vielseitig und innovativ die Freie Szene in NRW ist. Wir als Fachjury konnten das enorme kreative Potenzial, mutigen Nachwuchs, die fortlaufende Professionalisierung und die thematische und perspektivische Ausdifferenzierung der Szene lesen. Wir haben die beeindruckend große Bandbreite der Themen gesehen, mit denen sich die Antragstellenden befassen: u.a. die Kriege und Krisen unserer Zeit, Femizide und Sichtbarkeit feministischer Themen, KI, Queerness und Genderthemen sowie Klima- und Umweltkatastrophen. Wir sehen auch die Vielfalt an Formaten, Erzählstrategien, Ästhetiken, Weiterentwicklungen von traditionellen Genres, die Einbindung digitaler Techniken und die Entwicklung neuer Formen für die komplexen Herausforderungen unserer Gegenwart. Wir sehen, wie sich marginalisierte Gruppen in der Freien Szene engagieren und das künstlerische Feld erweitern und ausdifferenzieren, wie Inklusion und Zusammenarbeit über soziale, kulturelle und ökonomische Grenzen hinweg gelebt werden. Wir haben gelesen, wie sich die Freie Szene in NRW mit künstlerischen Mitteln um die Zukunft der Menschen in diesem Bundesland bemüht.

Auch wenn die meisten Projekte in den Metropolen geplant sind, sehen wir, dass es engagierte Künstler*innen gibt, die die peripheren Räume der künstlerischen Metropolen und den ländlichen Raum aufsuchen und dort vor Ort gestalten. Wir sehen, wie sich Netzwerke aufbauen und Verbindungen quer durch NRW und darüber hinaus bilden. Ebenso wie sich kontinuierliche Entwicklungen etablieren und erhalten.

Die Freie Szene NRW hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und vergrößert, so dass das zuletzt 2018/2019 angepasste Fördersystem längst nicht mehr ausreichend ist. Im Hinblick auf eine nachhaltige Sicherung künstlerischer Qualität ist dieses Wachstum auf jeden Fall notwendig, damit alle Bezirke in NRW von Angeboten der Freien Darstellenden Künste erreicht werden können. Bei der Vielzahl der Projekte und den sehr unterschiedlichen Formaten und Bedürfnissen der Projekte, standen wir als Jury mehrfach vor der komplexen Frage, was die Allgemeine Projektförderung inhaltlich abdecken kann und soll.

Es werden zusätzliche Förderungsmöglichkeiten benötigt, die z.B. strukturell relevante Projekte wie Residenzprogramme, Festivals und Aufbau neuer Spielorte für die Freie Szene ermöglichen - alle diese Themen sind wichtig, aber schwer innerhalb eines Förderprogramms mit künstlerischen Produktionen zu vergleichen.

Weiterhin stellen wir fest, unter welchen unterschiedlichen Bedingungen, die Künstler*innen im Land NRW ihre Projektgelder beantragen und wie sich das in den Formaten und der Planung der Projekte auswirkt. Die großen Unterschiede in der Kulturförderung der Kommunen als ein wesentlicher struktureller Faktor beschäftigten die Jury auch dieses Jahr wieder sehr in der Besprechung der Projekte.

Auf der einen Seite sind die in den großen Metropolen in NRW lebenden Künstler*innen höheren Lebenshaltungskosten und einem außerordentlich großen Konkurrenzdruck ausgesetzt, besonders in Köln und Düsseldorf. Viele Künstler*innen und Gruppen, die um die begrenzten kommunalen Mittel buhlen, werden trotz guter Anträge nicht in der städtischen Förderung bedacht und können sich dementsprechend erschwert um Landesmittel bewerben. Die Folge ist oftmals, dass weit unterhalb der Mindesthonorargrenze produziert wird.

Dem gegenüber stehen die kleineren Städte und Kommunen. Dort fällt die kommunale Förderung oft so gering aus, wenn es überhaupt entsprechende Fördermöglichkeiten gibt, dass die Künstler*innen vor der enormen Schwierigkeit stehen, die vom Land NRW geforderten 50% Gegenfinanzierung überhaupt aufzubringen. Das erfordert Kreativität, deutlich mehr ehrenamtliche Arbeit und Risikobereitschaft – und das fördert ebenfalls Selbstausbeutung.

Die Folge sind im Verhältnis deutlich weniger Anträge abseits von Köln und Düsseldorf und teilweise sehr kleinteilige und dadurch instabile Finanzierungspläne.

Auch der künstlerische Nachwuchs in einigen Städten z.B. Essen (Folkwang-Universität), Bochum (RUB Szenische Forschung, Figurentheaterkolleg, Folkwang Universität) kämpft mit den erschwerten Bedingungen sich vor Ort zu etablieren und neigt dazu in die beiden großen Metropolen abzuwandern. Was wiederum die dortige Situation verschärft.

Je geringer also kommunale Kulturförderung ausfällt, desto mehr sind die Künstler*innen auf die Förderung durch Landesmittel angewiesen, um sich auf Förderungen auf Bundesebene und Drittmittel zu bewerben. Und wir mussten feststellen, dass sich auch hier die Situation deutlich verschlechtert hat. Die hier bestehenden Lücken sind durch die zur Verfügung stehenden Landesmittel derzeit nicht aufzufangen.

Wenn sich hier nichts ändert, indem weitere Förderinstrumente entwickelt werden, Regularien überarbeitet und finanzielle Mittel aufgestockt werden, drohen bestimmte Regionen kulturell zu verarmen bzw. bleiben strukturell benachteiligt.

Im Sinne der Nachhaltigkeit, der Sichtbarkeit und der Vernetzung müssen Künstler*innen aus NRW die Möglichkeit haben, ihre Produktionen über ihre Premiere hinaus auch in NRW auf Gastspiele zu schicken oder sie später wieder aufzunehmen. Viele größere Orte wie z.B. Bochum, Duisburg, Oberhausen, und erst recht Städte im peripheren Raum oder in den ländlichen Regionen, haben einen solchen Ort nicht. Die logische Antwort darauf ist, dass es ein Netzwerk freier Spielstätten braucht, die sowohl die finanziellen und strukturellen Möglichkeiten besitzen, Produktionen aus NRW zu koproduzieren, als auch den Austausch zu ermöglichen.

An den Stellen im Land, wo in den letzten Jahren Spielstätten und Spielorte mehr für die Freie Szene geöffnet haben, beispielsweise das Maschinenhaus Essen, das Center for Literature oder das Theater im Depot, entstehen Koproduktionen, sorgen deren Kooperationen für Stabilität – dies zeigt sich deutlich in mehreren Anträgen.

Diese Anträge zeigen, wie dringend der Bedarf an Spielorten mit Gastspiel-Etat für die Freie Szene sowie finanzielle Mittel für Gastspielförderungen und Wiederaufnahmeförderung in NRW sind.

Wir als Fachjury bewerten die gestiegene Antragszahl auch als ein Zeichen für eine rapide Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen, unter denen die Künstler*innen der Freien Szene arbeiten. Die beantragten Projekte sind oft nah am Minimum kalkuliert, sodass die starke Inflation bei gleichbleibenden Fördersummen Qualität und Durchführbarkeit der Projekte bedrohen. Hier möchten wir betonen, dass die zumeist an den Empfehlungen zu Honoraruntergrenzen des Bundesverbands Freie Darstellende Künste (BFDK) orientierten Honorare trotzdem die sprunghaft gestiegenen Lebenshaltungskosten allein nur während der Produktionszeiten nicht ausreichend decken können.

Um die enorme Qualität der Freien Szene in NRW zu erhalten und zu fördern, empfiehlt die Fachjury der ersten Förderrunde 2024 der Allgemeinen Projektförderung nachdrücklich folgendes:

  1. Angemessene Erhöhung der Fördermittel in der Projektförderung, sodass eine Förderquote von 40 % erreicht wird.
  2. Eine Erhöhung der Förderhöchstsummen (derzeit 20.000,– € pro Jahr) um mindestens 25 %, um den gestiegenen Durchführungskosten aufgrund der Inflation und der angehobenen Honoraruntergrenzen des Bundesverbands Freie Darstellende Künste (BFDK) Rechnung zu tragen.
  3. Differenzierung und Ausbau der Förderinstrumente – um die Allgemeine Projektförderung zu entlasten:
    • Ein Förderprogramm mit strukturellem Schwerpunkt für Festivals, Residenzprogramme, Spielstättenaufbau etc.
    • Förderprogramme, die die Projekte und Aufführungen der Freien Szene in strukturschwächeren Orten, besonders in den ländlichen Räumen, peripheren Orten sowie den kleineren Städten und Gemeinden unterstützen. Überall da, wo es eine schwache oder gar keine kommunale Kulturförderung gibt
    • Eine angemessene Gastspielförderung sowie Wiederaufnahmeförderung, die es freien Spielstätten und kulturellen Zentren ermöglicht, Produktionen aus ganz NRW in ihrer Region zu zeigen.
  4. Der Aus- und Aufbau freier Spielstätten und Spielorte in ganz NRW, die mehr Kooperationen und Vernetzungen, aber besonders Aufführungen ermöglichen. Nur so kann für Produktionen der Freien Szene ein besserer Wirkungsgrad in der Wahrnehmung, der Finanzierung und der künstlerischen Präsenz ermöglicht werden.

Februar 2024

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